Im Schaufenster einer Bonbonschachtel
Wer kennt nicht die feinen Fallschirme der Löwenzahnsamen, die jeweils im lauen Sommerwind treiben? Monika Ackermann hat sie eingefangen und zu Hunderten in ein schwarzes Holzkistchen gefüllt, das sie mit einem Plexiglasdeckel verschloss. Diese flauschige Augenweide hat es in sich. Zumal im Jänner wirkt sie wie ein Stück konservierter Sommer.
Anderswo flattert in einer ziegelroten Voliere und hinter einem Stück Fliegennetz ein kleiner Engel. Darunter sind in einem Vitrinchen sechs wenige Millimeter hohe Reisende ausgestellt, die mit Koffern und Taschen sogleich einen Nachtexpress (Euronight oder Märklin) besteigen werden. In der Eile sind sie zu winzigen Galionsfiguren des Fernwehs erstarrt.
Die kleinen Wandobjekte ohne Titel bergen Geschichten und Erinnerungen. Dadurch wachsen sie und verschaffen sich jede Menge Auslauf in der Fantasie des Betrachters. Die Montageanleitung einer Stütze für den Arbeitstisch, ein Meeresdampfer oder ein vergilbtes Postkartenschloss, das auf einer hellgrün fluoreszierenden Plastikbox prangt, entfaltet eine wundersame Inspirationskraft.
Bei manchen Stücken ist das vom Zahn der Zeit gezeichnete Material die Hauptsache. Monika Ackermann nagelt ein himmelblaues Holzdreieck auf ein wild zerkratztes und verbeultes Stück Blech, das einst ein Dach deckte. Woher aber stammt jenes handgrosse Stück aus Rost, Pergament und Gaze? Dieses vielschichtige Sediment gehört zu den poetischen Rätselbildern der Ausstellung. Zu ihm passen die stumpfen, von unzähligen Händen abgegriffenen Ecken all der Schachteln und Trücklein, in der die Künstlerin Trouvaillen aus dem Alltag präsentiert. Selbst weggeworfenes Verpackungsmaterial verwandelt Monika Ackermann in Unikate. Sie nimmt Pralinepapierchen, füllt sie mit Bienenwachs und fügt sie zu einem Quadrat, das nun an der Wand wie ein Stubenfenster leuchtet. Oder sie stickt mit orangem Garn zwei Vierecke auf den Deckel einer grünen Plastikdose und macht sie zu einem Emblem der Handarbeit aus Grossmutters Zeiten.
Die Objekte sind nicht nur im Material, sondern auch in ihrer Aussagekraft sehr unterschiedlich. Was sie aber eng zusammenhält, ist die Konzentration auf die Miniatur. In ihrer Kleinheit wirken die besten Stücke intim, persönlich, ureigen. Es sind Kleinode im Taschenformat.
Zu Monika Ackermanns Fundstücken aus dem Alltag zählen auch Buchstaben, Wörter und zauberhafte Sätze wie der folgende: „Kleine Meerjungfrau hat ihren Kopf wieder“. Das heisst?
Ruedi Angele
Collection Souvenir
Monika Ackermann sammelt. Nicht gezielt, wie ein Sammler, der stetig nach dem nächsten Stück für seine Sammlung sucht, Monika Ackermann sammelt, was der Alltag als Schwemmholz ans Ufer ihres Lebens spült: Ein Plastikteilchen von einer Baustelle, Beeren aus dem Strauch vor dem Atelier, Kinderspielzeug, das nicht mehr zum Spielen einlädt, Schächtelchen, deren Inhalt längst die Hülle nicht mehr braucht. Ihre «collection» entsteht aus scheinbar Belanglosem und ist nicht für eine Ewigkeit gedacht. Denn in dieser «collection» geht es nicht um das Gesammelte an sich, sondern um Assoziationen, Gedankenblitze, die sich mit den Dingen, wie zum Beispiel einer gelben Plastikblume, einem Holzstück oder mit metallenen Bauteilen verbinden - es geht um eine «collection», die aus «souvenirs» besteht. Und es geht darum, im Angesammelten eine neue Ordnung zu schaffen.
Im Atelier beginnt die Künstlerin mit den Gegenständen zu spielen, arbeitet absichtslos, intuitiv mit diesen Fundstücken: schickt ein Plastikschiffchen auf die Reise durch einen Schachtelozean, setzt hier einen Pfeil, der ins Nirgendwo weist, sperrt flüchtige Löwenzahnsamen in schwarzem Holz ein. Das Material ist vielfältig: Metall, Wachs, Textiles, Pflanzen und Kunststoff finden sich in den Objekten.
Nicht die "weisse Leinwand" ist der Ausgangspunkt ihrer Kunst, vielmehr reizt es Monika Ackermann, sich von Bestehendem inspirieren zu lassen, sich mit Material, mit Dingen auseinanderzusetzen und aus dieser Auseinandersetzung etwas Neues zu schaffen, das über das Materielle hinausgeht.
In der Stille des Ateliers werden die Gegenstände wieder und wieder aufgenommen, neu gruppiert, arrangiert und bearbeitet. Durch das Material spürt Monika Ackermann in ihren Objekten - wie auch in ihren Fotografien - etwas Immateriellem nach, einem Gedanken, einer Ahnung, einer Stimmigkeit, welche die Balance zwischen Fassbarem und Unfassbarem, zwischen Klarheit und Rätsel hält. Erst wenn diese Stimmigkeit erreicht ist und das Material beginnt, eine Geschichte zu erzählen, hat ein Objekt seine - vorläufig - endgültige Form erreicht und wird aus der Hand gelegt.
Die Kästchen und Objekte, die durch diesen intuitiven, ja meditativen Prozess entstehen, strahlen Stille aus, ruhen in einer Mitte und sind gleichzeitig für die Betrachterin, den Betrachter rätselhaft und irritierend.
Ganz ähnlich verhält es sich mit Monika Ackermanns Fotografien. Auf Spaziergängen in ihrer nächsten Umgebung sammelt sie Sujets, Bilder, die das Alltägliche, Unspektakuläre aus neuer Perspektive zeigen. Das Zuviel an Material auf den Fotografien - hier ein Teil einer Strasse, dort Gras oder ein Stück Himmel - wird im künstlerischen Prozess verdichtet. So werden die Bilder wie die Fundstücke im Atelier bearbeitet, werden Ausschnitte ausgewählt, wird mit Pinsel und Farbe in die Fotografie eingegriffen, bis das abgebildete Objekt in einer gefühlten Mitte steht.
Die Fotografien und Objekte, die in der Ausstellung «collection - souvenirs» gezeigt werden, stehen von ihrem Ausgangsmaterial und ihrem Entstehungsprozess her in einem engen Bezug zueinander, unterscheiden sich nur durch das gewählte künstlerische Vokabular. Und sowohl in den Objekten als auch in den Bildern wird eine Balance erreicht, die Stille und Rätsel in der Waage hält.
Das Format der Arbeiten, insbesondere der Objekte, ist klein. Sie drängen sich nicht auf, sondern wollen 'gefunden' werden, locken nicht mit lauter Farbe, sondern machen durch leise Irritation auf sich aufmerksam.
Mit ihren kleinformatigen Objekten und mit ihren Bildern nimmt uns Monika Ackermann auf eine Reise ins Vertraute mit, das uns unvermittelt geheimnisvoll und rätselhaft entgegentritt. In einer Welt, in der alles verstanden sein will, öffnet uns ihre Kunst einen Raum, in dem es nichts zu verstehen, aber viel zu entdecken gilt.
Nehmen Sie sich Zeit für die Entdeckungsreise durch diesen Mikrokosmos. Tauchen Sie ein in diese Welt des vermeintlich Banalen und entdecken Sie im Alltäglichen das Besondere. Schauen sie mit neugierigem Blick in die Kästchen und Schächtelchen, lassen Sie sich von Pfeilen in die Irre leiten, entziffern Sie Gebrauchsanleitungen und machen Sie sich auf Zahlen und Worte Ihren eigenen Reim. Betrachten Sie sich im Spiegel, der hinter der Kulisse der Gegenstände auf Sie wartet und Sie werden einer verspielten, skurrilen Welt begegnen, die mit viel Poesie und stillem Humor jeder Betrachterin, jedem Betrachter eine eigene Geschichte erzählt.
Liliana Heldner
Au Coin Perdu
Zwischen neuen Bauten und altem Dorfkern versteckt sich in Horgen ein besonderer Ort: Die Atelierräume der Künstlerin Monika Ackermann und des Zauberers Christoph Walt. In ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung führen die beiden Künstler gestalterisches Schaffen, Zauberei und die Magie zahlloser Geschichten zusammen.
Au coin perdu – eine verlorene Ecke ist das Atelier von Monika Ackermann und Christoph Walt. Oder besser: vergessen, verwunschen, aus der Zeit gefallen. Seit zwanzig Jahren widmen sich die beiden Künstler unter dem gleichen Dach ihrer je eigenen Kunst, mit offenem Blick in den Raum des anderen.
Für Monika Ackermann bilden alltägliche Dinge den Ausgangspunkt für ihr künstlerisches Schaffen. Mit Fotographie, Collagen und Installationen rückt sie das Unscheinbare ins Zentrum des Betrachtens und eröffnet uns so mit Poesie und einer guten Prise Humor eine neue Welt. Vertrautes wirkt plötzlich skurril, Irritierendes verwandelt sich bei näherer Betrachtung in Altbekanntes, das Neues erzählt.
Altvertraut, überraschend, irritierend - Begriffe, die auch bestens zu Christoph Walts Zauberkunst passen. Seine Requisiten scheinen auf den ersten Blick alltägliche Gegenstände zu sein, erst bei näherem Betrachten geben sie ihr Geheimnis preis. Denn nicht die mit grösster Fingerfertigkeit ausgeführten Zaubertricks, sondern die in den Dingen verborgenen Geschichten schaffen für Christoph Walt erst die wahre Magie.
Mit der Ausstellung «Au coin perdu» öffnen Monika Ackermann und Christoph Walt die Wunderkammer ihres Ateliers und laden dazu ein, in dieser scheinbar aus der Zeit gefallenen Welt Geschichten zu entdecken, weiterzuspinnen, mitzunehmen. An drei Abenden zaubert Christoph Walt in der Ausstellung, aber auch während den Öffnungszeiten wird er im Rosenhofraum anwesend sein und mit seinen Geschichten – und vielleicht auch einem Zaubertrick – die wahre Magie erwecken.
Liliana Heldner